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10.12.2020

ADAC Luftrettung fliegt jetzt mit Blutkonserven an Bord

Pilotprojekt mit Bundeswehrkrankenhäusern in Ulm und Koblenz

Weiterer Fortschritt bei der Patientenversorgung aus der Luft: Die ADAC Rettungshubschrauber „Christoph 22“ in Ulm und „Christoph 23“ in Koblenz haben bei ihren notfallmedizinischen Einsätzen jetzt Blut und Blutgerinnungsprodukte mit an Bord. So können Schwerverletzte mit massivem Blutverlust bereits an der Einsatzstelle mit Blut versorgt und die Blutgerinnung kann frühzeitig unterstützt werden. Vor allem bei Arbeits- und Verkehrsunfällen im ländlichen Raum versprechen sich die Verantwortlichen – wegen der dort längeren Transportzeit in eine geeignete Klinik – Vorteile für die Patienten.

Von den praktischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen des Pilotprojektes sollen weitere Stationen der gemeinnützigen ADAC Luftrettung in Deutschland profitieren. „Mit der Erfahrung im militärischen Bereich sind das Bundeswehrkrankenhaus in Ulm und das Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz für uns ideale Kooperationspartner, um die Blutversorgung im Rettungsdienst aus der Luft in der Praxis einzuführen“, betont Frédéric Bruder, der Geschäftsführer der ADAC Luftrettung.

An Bord von „Christoph 22“ und „Christoph 23“ Blut- und Gerinnungsprodukte

„Christoph 22“ und „Christoph 23“ werden mit Notärzten besetzt, die im Rahmen von militärischen Auslandseinsätzen in den vergangenen Jahren bereits eine Expertise auf dem Gebiet der frühzeitigen Transfusion erlangen konnten. Untersuchungen aus militärischen Einsätzen haben gezeigt, dass die frühzeitige Gabe von Blut bereits an der Einsatzstelle dazu beitragen kann, dass deutlich mehr schwerverletzte Patienten lebend die Klinik erreichen. Infolge dieser Erfahrungen wurden am Bundeswehrkrankenhaus Ulm bereits seit August 2015 bei schwerverletzten Patienten Blutproben an der Einsatzstelle entnommen, um im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie den Bedarf an Blutprodukten und Gerinnungspräparaten genauer analysieren zu können. Auf Basis dieser Daten wurde das jetzige Projekt gestartet.

„Die unkontrollierte Blutung infolge einer schweren Verletzung bei Unfällen ist die führende Todesursache bei Patienten im Alter unter 45 Jahren“, erklärt Oberstarzt Prof. Dr. Matthias Helm. Der Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Ulmer Bundeswehrkrankenhaus hat mit seinem Team das Pilotprojekt im August 2020 begonnen. „Mit dem Hubschrauber können wir solche Patienten sehr schnell erreichen und mit der frühzeitigen Gabe von roten Blutkörperchen und Gerinnungsfaktoren einen weiteren Bestandteil der Intensivmedizin aus der Klinik direkt an die Einsatzstelle verlagern.“ So konnte bereits wenige Tage nach Start des Projektes im Einsatzgebiet von „Christoph 22“ ein schwerletzter E-Biker gerettet werden.

Das Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz ist im Oktober in das Projekt gestartet. Ähnlich wie auf der Schwäbischen Alb sind auch im Einsatzgebiet von „Christoph 23“ die Wege in geeignete Zielkliniken mitunter recht weit. In Koblenz wird ergänzend wissenschaftlich untersucht, inwieweit sich beim Transport von Blut in einem Hubschrauber aufgrund der Vibrationen die Form und Gestalt der roten Blutkörperchen verändert. Oberstarzt Dr. Willi Schmidbauer, Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Notfallmedizin in Koblenz: „Ein charakteristisches Merkmal der seit über 50 Jahren bestehenden Luftrettung ist es, ein hochqualifiziertes medizinisches Team zum Patienten zu bringen und diesen exzellent zu versorgen. Mit der Blutgabe untersuchen wir jetzt wissenschaftlich eine weitere Möglichkeit, eben diese Versorgungsqualität zu erhöhen.“

Beide Stationen der ADAC Luftrettung wollen im Frühjahr 2021 über erste Erfahrungen des Projektes berichten. Die Erhebungen können perspektivisch an weiteren Standorten der Luftrettung ergänzt werden, so würde das Projekt im Verlauf auf eine noch größere wissenschaftliche Basis gestellt. Pro Jahr rechnen die Studienzentren mit rund zehn Verwendungen der Blutprodukte an der Einsatzstelle.

Beide Rettungshubschrauber führen nicht nur Erythrozytenkonzentrate (rote Blutkörperchen), sondern auch Gerinnungsfaktoren mit. Verwendet werden rote Blutkörperchen (Erythrozyten) der Blutgruppe Null mit dem Rhesusfaktor negativ, da diese von allen Menschen vertragen werden. Da gespendetes Blut immer nur wenige Wochen haltbar ist, sind beide Bundeswehrkrankenhäuser auf Blutspenden angewiesen. Über die
Blutbanken der Kliniken und den transfusionsmedizinischen Dienst der Bundeswehr werden die Erythrozytenkonzentrate und Gerinnungsfaktoren ausgegeben und, wenn sie nicht benötigt werden, rechtzeitig vor Ablauf der Haltbarkeit anderen Patienten in den Kliniken zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise verfällt kein Blut, selbst wenn es auf den beiden ADAC Rettungshubschraubern nicht gebraucht wird.

Der Rettungshubschrauber in Ulm startet seit 1971 mit einer medizinischen Besatzung des Bundeswehrkrankenhauses, seit 2003 stellt die ADAC Luftrettung Hubschrauber und Piloten. 2019 war „Christoph 22“ rund 1500-mal im Einsatz. Die Crew am Luftrettungszentrum Ulm besteht aus drei Piloten der ADAC Luftrettung sowie 21 Notärzten und sieben Notfallsanitätern (TC HEMS) des Bundeswehrkrankenhauses Ulm. „Christoph 23“ ist am Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz seit 1973 im Einsatz und wird dort seit 1999 von der ADAC Luftrettung betrieben. 2019 war er rund 2100-mal im Einsatz. Auch hier werden drei Piloten der ADAC Luftrettung und 19 Notärzte und 6 Notfallsanitäter der Bundeswehr eingesetzt.

Bundesweit starten die ADAC Rettungshubschrauber rund 54.000-mal im Jahr. Das entspricht rund 150 Notfällen täglich.